Selbstverantwortliches Lernen und Verhalten des/der Trainer*in

(Mit „Trainer*in“ meinen wir, was im Englischen als „Facilitator“ – also wörtlich „Ermöglicher*in“, „Vereinfacher*in“ bezeichnet wird. Da es keinen entsprechenden Begriff im Deutschen gibt, nutzen wir „Trainer*in“ oder 2Moderator*in“, bzw. „Training“ und „Moderation“.)

In Gesprächen über Bildung und Erlebnispädagogik wird fast ständig der Begriff „Moderation“ verwendet. Aber was ist Moderation eigentlich? Im Grunde ist Moderation die Kunst, die Prozesse einer Gruppe so zu leiten, dass diese ihre pädagogischen Ziele erreichen kann. Natürlich erklärt diese Definition nicht, wie man dorthin gelangt. Wir arbeiten seit über 20 Jahren mit Trainings und Seminaren. In der Zusammenarbeit mit Menschen wie Rüdiger Gilsdorf, Roger Greenaway, Bernd Rademächers, Michael Rehm, Jac Rongen und Nelson Trindade haben wir viele Ideen ausgetauscht. Dadurch haben wir viel in Bezug auf die Einbeziehung der Teilnehmenden in den Lernprozess gelernt und einen bestimmten Ansatz entwickelt: Lassen Sie uns also über Techniken für selbstverantwortliches Lernen sprechen.

In den letzten Jahren ist uns immer klarer geworden, dass die Teilnehmenden an Aus- und Weiterbildungsprogrammen nicht nur aktiv an der Festlegung von Zielen mitwirken, sondern auch Verantwortung für das Lernen übernehmen müssen. Die Anzahl von Experten und Praktikern im Bereich des erfahrungsorientierten Lernens in Europa, die „selbstverantwortliches Lernen“ befürworten, wächst ständig. Dies wurde auch durch die hohen Teilnehmerzahlen des Workshops „Sägen an der Krücke“ deutlich, den Silke Körner auf der Konferenz „Erleben und Lernen“ an der Universität Augsburg bereits im Oktober 2002 leitete. In diesem Workshop wurden verschiedene Aspekte des Verhaltens des oder der Trainer/ in und Methoden zur Förderung des selbstverantwortlichen Lernens untersucht. Hier gibt es zwei Haupteinflussbereiche:

1 – Die Gestaltung der Aktivität

Innerhalb der Struktur einer Aktivität muss es Raum für Gruppenprozesse und Entdeckungen geben. Dies ermöglicht den Teilnehmenden, Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen. Je mehr „Bewegungsfreiheit“ die Aktivität den Teilnehmenden bietet, desto größer ist das Spektrum der Erfahrungen, die sie machen können. Lassen Sie uns nun Aktivitäten, die nur eine Lösung haben, mit solchen vergleichen, welche mehrere Lösungen zulassen.

Hier der Fall mit nur einer möglichen Lösung:

Eine bestimmte Einsicht bei den Teilnehmenden soll erreicht werden. Wenn sie die gestellte Herausforderung meistern, geschieht dies auch – mehr oder weniger so, als ob eine Glühbirne über einer Comicfigur aufleuchtet.

Das Problem ist, dass diese Art von Aktivität in der Regel keinen Raum für eine andere Art des Lernens bietet.

Das heißt, wenn die aus der Aktivität zu gewinnende Einsicht bereits vorherbestimmt ist, bleibt wenig oder gar kein Raum, um die speziellen Prozesse dieser Gruppe zu reflektieren.

Wenn einer oder mehrere Teilnehmer darüber hinaus bereits die Lösung kennen, stirbt die Aktivität – und damit der „Glühbirne über dem Kopf“-Effekt. Dadurch wird die Fülle dessen, was gelernt werden könnte, sehr stark eingeschränkt.

Nun der Fall, wenn mehrere Lösungen möglich sind:

Welche Erkenntnisse bei dieser Art von Aktivitäten gewonnen werden sollen, bleibt hier weitgehend offen. Diskussionen können weniger kontrolliert werden. Denn obwohl der/die Trainer*in sie leiten kann, gibt es keine Garantie für die Richtung, die sie nehmen wird. Daher ist der Raum für Entdeckungen und folglich für das Lernen viel größer.

Es ist interessant, diese beiden Arten von Aktivitäten mit der Art von Fragen (offene oder geschlossene) zu vergleichen, die wir den Teilnehmenden während der Verarbeitung[1] einer Erfahrung stellen können. Eine geschlossene Frage bietet als mögliche Antworten nur ja/nein, stimmt/stimmt nicht, etc. Diese Art von Fragen führt nicht dazu, dass die Teilnehmenden tiefer in die Analyse des Prozesses, der während der Aktivität stattgefunden hat, einsteigen müssen. Meistens kennt der/die Trainer*in die Antwort bereits und möchte nur, dass der Teilnehmer eine in der Entwicklung befindliche Gedankenlinie validiert. Mit anderen Worten, ein Effekt, der den Eine-Lösung-Aktivitäten und der Comic-Glühbirne ähnelt. Eine weitere Parallele, die man ziehen kann, ist die der Kontrolle. Sowohl bei Aktivitäten mit einer einzigen Lösung als auch bei geschlossenen Fragen ist der Grad der Kontrolle des/der Moderator*in sehr hoch.

Bei offenen Fragen gibt es viele mögliche Antworten. Obschon hierbei der/die Moderator*in oft eine gute Vorstellung über die „Richtung“ der Antwort hat, gibt es keine vollständige Kontrolle über die Richtung des Prozesses. Die Ähnlichkeiten mit einer Aktivität, die mehrere Lösungen zulässt, sind klar.

Um selbstverantwortliches Lernen zu ermöglichen, sollte eine Aktivität: durch einen klar markierten und begrenzten äußerer Bereich (die Aufgabe) einen inneren Bereich (den Lernprozess) schaffen, der die größtmögliche Freiheit bietet.

Dies kann durch die Kombination der folgenden Faktoren erreicht werden, die wir jeweils mit Fragen vorstellen, welche wir uns bei der Planung einer Veranstaltung stellen sollten:

Abfolge und Art der Aufgaben

  • Warum diese Aktivität jetzt? – Welche sind die Ziele (sowohl der Aktivität als auch des Lernens), die ich erreichen möchte, indem ich sie an dieser Stelle im Programm anbringe?
  • Sind die Ziele klar, relevant und mit den Teilnehmenden abgesprochen?
  • Hat das physische Ziel der Aktivität irgendeine Beziehung zu den didaktischen Zielen?
  • Ist es realistisch erreichbar und für die Gruppe angemessen?
  • Gibt es Parallelen oder Metaphern in Bezug auf relevante Situationen?

Regeln und Beschränkungen

  • Unterstützen sie den Entdeckungs- und Lernprozess, um einen äußeren Raum zu definieren, der maximale innere Freiheit lässt?
  • Was sind die „nicht verhandelbaren[2]“ Regeln der Aktivität, und welche können von der Gruppe ausgehandelt und/oder geändert werden?

Die Regeln sollten so artikuliert werden, dass der „Erfahrungsraum“ maximiert wird. Oder, wie Nelson Trindade von Sociosistemas (Portugal) einmal erklärte: „Wenn wir einem Kind sagen, es soll auf einem Stuhl sitzen, kann es nur auf dem Stuhl sitzen. Wenn wir demselben Kind sagen, dass es nicht auf dem Boden sitzen soll, kann es, abgesehen vom Stuhl, einen beliebigen anderen Platz wählen. Dadurch eröffnet sich eine Vielzahl von Möglichkeiten für die Erfahrung (und folglich für das Lernen) innerhalb des Raumes, in dem es sich befindet „. In gleicher Weise sind Regeln und Beschränkungen, die den Teilnehmenden vorschreiben, was sie tun sollen, einschränkend. Diejenigen jedoch, die nur beschreiben, was nicht getan werden darf, eröffnen Raum für Kreativität und Entdeckungen.

2 – Das Verhalten des/der Trainer*in

„Das Menschlichste, was wir tun können, ist, die Betroffenen zu trösten und die Bequemen zu bedrängen“ – Clarence Darrow

Experimentieren und Lernen sind unverzichtbare Elemente des Wachstumsprozesses. „Wachsen heißt schieben!“ (George Herrick, während einer informellen didaktischen Diskussion in Bratislava, 1998). Das „Schieben“ in diesem Satz bezieht sich auf den Komfortbereich, in dem die Person handelt. Um diesen Bereich zu vergrößern, muss eine Person andere Dinge tun, als sie es gewohnt ist, indem sie sich dem Neuen zuwendet. Um die Teilnehmenden in ihrer Verantwortung für das eigene Lernen zu unterstützen, sollte der/die Trainer*in sie deswegen oft mit unbekannten und/oder unbequemen Situationen konfrontieren. Wie er oder sie diese Rolle versteht und ausfüllt, hat einen direkten Einfluss auf die Teilnehmenden. Und zwar auf:

  • ihre Lernbereitschaft
  • die Möglichkeit, etwas Neues auszuprobieren
  • die Reflexion ihrer Erfahrungen und Zugewinn neuer Wahrnehmungsweisen

Es gibt zwei grundlegende Fragen, die sich jede/r Moderator*in selbst beantworten sollte. Sie dienen zur Klärung, an welchen Stellen er oder sie darauf achten sollte, die Möglichkeiten der Teilnehmenden, Verantwortung für ihr Lernen zu übernehmen, nicht einzuschränken.

1. Was macht die Rolle des/der erfahrungsorientierten Trainer*in für mich attraktiv?

Es gibt viele Gründe, warum jemand mit erfahrungsorientierten Methoden arbeiten möchte. Lassen Sie uns also einige Verallgemeinerungen verwenden, um das Thema zu abzuklopfen.

  • Der/die Freund*in: möchte, dass die Teilnehmer ihn/sie mögen. Es fällt ihm/ihr schwer, der Gruppe „Nein!“ zu sagen und für die Einhaltung der Regeln der Aktivitäten zu sorgen.
  • Das Idol: möchte bewundert werden. Es fällt ihm/ihr schwer, sich aus der Führungsrolle zu befreien und sie den Teilnehmern zu übertragen.
  • Der/die Lehrerin: will lehren, Wissen weitergeben. Er/sie muss sich beherrschen, um nicht unbewusst anzufangen, Tipps zu dem von der Gruppe zu lösenden Problem zu geben.
  • Der/die Paternalist*in: will die Teilnehmenden schützen, leidet darunter, sie in Schwierigkeiten zu sehen, und glaubt zu wissen, was das Beste für sie ist.

2. In welcher Rolle unterstütze ich selbstverantwortliches Lernen oder unterstütze ich es nicht?

Ein interessanter Fall, der den paternalistischen Aspekt betrifft, ereignete sich für uns im Oktober 2002 während eines Workshops für sozial benachteiligte Jugendliche in Berlin.

Wir hatten ein Hochseil-Element namens Postman’s Bridge in einem Wald installiert. Diese Aktivität besteht aus einem Sicherheitssystem über zwei weiteren Seilen, die horizontal über ein Hindernis gespannt sind. In diesem Falle einer kleinen, etwa 15 Meter tiefen Schlucht. Die Jugendlichen konnten sie überqueren, indem sie die Seile als Hand- und Fußläufe benutzten, während sie durch ein Seilrollensystem gesichert wurden. Eine der Gruppen wurde von einer Lehrerin begleitet, die bereits einige Merkmale unserer „paternalistischen“ Verallgemeinerung gezeigt hatte.

Ein Jugendlicher (nennen wir ihn Fritz) hatte bereits zu Beginn der Aktivität erwähnt, wie sehr er sich vor Höhe fürchtete. Gegen Ende der Aktivität hatte Fritz seinen ganzen Mut gesammelt, und schließlich stand er am Anfang der Seilbrücke. Er war beeindruckt von dem, was er versuchen wollte. Gleichzeitig war er ruhig und entschlossen, sein Bestes zu tun, um die Herausforderung zu bestehen. Nachdem er einige Meter auf dem Seil balanciert war, begann sich der Boden zu entfernen, und als Fritz sich der Mitte der Schlucht näherte, packten ihn Zweifel.

„Ich will weiter, aber ich bekomme Angst“, sagte Fritz. „Du schaffst das!“, „Mach weiter!“, „Wir hatten auch Angst!“, „Ich habe auch gezittert, aber es hat sich gelohnt…“, regnete es Ermutigungen aus der Gruppe. Fritz wollte eindeutig weitermachen, aber wir konnten alle sehen, dass er gegen eine starke Angst ankämpfte. Ohne die Unterstützung seiner Freunde hätte er wahrscheinlich bereits aufgegeben – in einer Geschichte des Aufgebens, die bereits die Schule, die Aufnahme in die Gesellschaft usw. einschloss. An diesem Punkt hörten wir die Stimme der Lehrerin: „Ist gut, Fritz. Du hast es bis hierher ja schon toll gemacht!“ Fritz brach sofort ab und kehrte zum Schluchtrand zurück, wo er von allen zu seinen Bemühungen beglückwünscht wurde.

Es ist sehr wichtig, dass wir unsere Bedürfnisse als Trainer*in kennen, um sie nicht mit den Bedürfnissen der Teilnehmer zu verwechseln. Einige Fragen, die helfen können, eine Situation wie die oben beschriebene zu vermeiden, sind

  • Welche Bedürfnisse habe ich jetzt?
  • Wirken sie sich positiv auf das Lernen der Gruppe/des Einzelnen aus, oder werden sie es blockieren?
  • Welche Rolle unterstützt die Gruppe/den Einzelnen derzeit am besten beim eigenverantwortlichen Lernen?
  • Wie soll ich mich verhalten, um sie auszufüllen?

Zum Abschluss dieses Teils finden Sie hier eine Liste der Fähigkeiten, die wir als wesentlich für Trainer*innen entdeckt haben, die das eigenverantwortliche Lernen der Teilnehmenden wirklich unterstützen möchte:

  • Verlässlichkeit: Ist integer, offen für Rückmeldungen, konstruktiv
  • Souveränität: Weist eine große Kompetenzmarge auf (S. Priest und M. Gass, 1997), und die Aktivitäten liegen vollständig innerhalb seiner/ihrer Komfortzone
  • Neutralität: Beobachtet, ohne zu urteilen
  • Distanz: Ist empathisch, aber nicht emotional beteiligt
  • Flexibilität: Wo möglich, schafft er/sie Raum, um mit Prozessen, Schwierigkeiten, Lernen und Einsichten umzugehen
  • Delegation: Weiß, wie man die Kontrolle über die Wirksamkeit und Verantwortung des Lernens in die Hände anderer gibt

 

Schlussfolgerung

Training bzw. Moderation, die ein wirklich verantwortliches Lernen der Teilnehmenden fördert, ist sehr komplex und schwierig.

Es handelt sich um eine Reihe von Techniken, Kenntnissen und Erfahrungen, die nicht nur die Selbstreflexion und das Bewusstsein über das eigene Verhalten erfordern, sondern auch umfangreiche Praxis in verschiedenen Situationen und Programmen.

Obwohl wir nicht wissen, wie man das Rezept der guten Moderation nur mit Theorie lehren kann – die Praxis ist noch wichtiger – hoffen wir, dass dieser Text den Leser*innen hilft, den Bedarf an bestimmten Zutaten besser zu verstehen. Würzen nach Geschmack…

 

SILKE KÖRNER – Arbeitet seit 1988 mit erfahrungsorientierten Lernmethoden in USA, Australien, Europa und Brasilien. Zwischen 2009 und 2013 war sie Direktorin mit Verantwortung für die Abteilungen Programmtrainer*innen, Interne Ausbildung, HR und Personaleinsatzplanung im größten Unternehmen für erlebnispädagogische Programme in der südlichen Hemisphäre, The Outdoor Education Group (OEG), in Australien. Seit 1992 bildet sie Erlebnistrainer*innen aus.

GABRIEL FONSECA – Sein erster Kontakt mit erfahrungsorientierten Lernmethoden fand 1991 an der Universität von Antioch, USA, statt. Als einer der Gründer des Deutschen Seilgartenverbandes (GRCA – jetzt ERCA) hat er die derzeit in der Europäischen Union verwendeten Sicherheitsstandards mitentwickelt. Seit 1994 bildet er Erlebnispädagog*innen in Brasilien, Europa und Australien aus. Zuletzt lehrte er am Murrundindi Training Institute in Australien.

[1] Wir verwenden oft den Ausdruck „Verarbeitung“ der Erfahrung/Aktivität anstelle von „Debrief“ (Nachbesprechung). Der Begriff „Nachbesprechung“ deutet auf etwas hin, das später geschieht, während „Verarbeitung“ das Lernen der Teilnehmenden während der gesamten Erfahrung oder des Programms begleitet.

[2] „Nicht verhandelbar“ sind die wesentlichen Regeln für das Funktionieren der Aktivität, die angestrebt werden: Gewährleistung der physischen und emotionalen Integrität der Teilnehmer Lernziel erreichen den größtmöglichen Raum für Erfahrungen garantieren

© Silke Körner und Gabriel Fonseca 2015