Was sind die Folgen der Zersplitterung unserer Gesellschaft?

Ein gesellschaftlicher Trend wurde dieses Jahr durch die Corona-Pandemie schneller vorangetrieben als jeder andere:

Die wachsende Streuung und Abtrennung von Menschen in kleinere Gruppen oder Einheiten, die völlig andere Realitäten erleben.

Bereits vor Corona wurde durch Gruppenbildung auf sozialen Netzwerken wie Facebook oder LinkedIn, bzw. in Nachrichten-Apps wie WhatsApp, Telegram oder Twitter die Zersplitterung unserer Gesellschaft erhöht:

  • Früher gemeinschaftliche Informationsquellen wie öffentlich-rechtliche oder große private Sendeanstalten werden zunehmend ersetzt durch themen- bzw. meinungsorientierte Nachrichten-Gruppen. Die Informationsquellen sind hier oft undurchsichtig, irrelevant bzw. werden ganz durch persönliche Meinungsäußerungen (bis hin zu Lügen) ersetzt
  • Anstelle von wahren Debatten und tiefen Diskussionen mit Andersdenkenden posten Menschen oberflächliche Kommentare und emotionale Reaktionen in ihren „Echokammern“
  • Immer mehr Menschen nutzen gezielt die Möglichkeit, sich anonym und damit – ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen – polemisierend, reißerisch oder gar hetzerisch zu äußern. Oft erfahren sie sogar Zustimmung und Anerkennung durch die Mitglieder derselben Nachrichtengruppe.

Nun kommen noch soziale Distanzierung, Home-Office und das Erleiden der größten Konsequenzen der Lockdowns durch nur einige Bevölkerungsgruppen und Wirtschaftszweige dazu:

  • Besonders Bewohner*innen von Altenheimen und Patienten in Krankenhäusern erleiden die größte Vereinsamung in Momenten, wenn Kontakte zu anderen am wichtigsten sind
  • Kranken- und Pflegepersonal, diejenigen, die in Gesundheitsämtern und in den Lagern bzw. Paketverteilung für große Logistikunternehmen arbeiten, stemmen jetzt viel mehr, als sie es ohnehin mit zu wenig Personal und Zeit auch vor der Pandemie tun mussten
  • Die gesamten Tourismus- und Veranstaltungsbranchen, Gastronomie, Kunst, Kultur und betriebliche Fortbildungen haben seit März so gut wie keinen Umsatz erzielt
  • Solo-Selbstständige, Kleinst- und Kleinunternehmen – sowie generell die finanziell Schwächsten unserer Gesellschaft – erleiden massive Einkommensverluste und die Gefährdung ihrer Existenz

Zur selben Zeit machen insbesondere Amazon und andere Internet-Einkaufsplattformen, Tech-Firmen für Online-Kommunikation und-zusammenarbeit sowie Hersteller in der Gesundheitsbranche so große Gewinne wie noch nie. Große Teile der Arbeitnehmer*innen arbeiten zwar von zuhause, erleiden jedoch keine finanziellen Verluste.

Die Last der Lockdowns zum Schutz der gesundheitlich Verwundbarsten unserer Gesellschaft ist also extrem ungleich verteilt!

Es gibt genug Studien, die beweisen, dass der Grad der Empathie mit der steigenden Distanz zu den Betroffenen sinkt. D. h. je weniger Kontakt wir zu denen haben, die Leid erfahren, denen etwas zugeschrieben wird aufgrund ihrer Herkunft, Aussehens o. ä. (Immigranten, Flüchtlinge, Frauen…), desto geringer wird auch unsere Empathie mit ihnen. Parallel geben wir unseren eigenen Problemen oder wahrgenommenen Einschränkungen größere Bedeutung, denn „alle“ um uns herum (also in unseren „Echokammern“) erleben ja dasselbe!

Es ist an der Zeit, sich einige Fragen zu stellen:

  • Wie groß ist der Verzicht, den ich durch die Pandemie und Maßnahmen wirklich erleide: Ist es einfach unkomfortabel oder fehlt wirklich etwas Essentielles?
  • Wodurch grenze ich mich selbst ab: Woher beziehe ich meine Informationen, mit welchen Menschen tausche ich mich aus oder diskutiere ich noch?
  • Wie stelle ich Verbindung her und zeige Empathie: Wen kann ich kontaktieren, der oder die es von selbst in diesen Umständen nicht (mehr) kann, wie fülle ich meine Beziehungen zu anderen gerade jetzt mit Leben und lasse mich auf sie ein?

Nutzen wir also die Zeit der Feiertage und der kalten Jahreszeit, um durch konkrete Taten wieder mehr Wärme in unsere Gesellschaft zu bringen!